Hölderlin und die braunen Frauen von Bordeaux
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Seine Geburt liegt in diesem Jahr zweihundertfünfzig Jahre zurück, doch seine Dichtung ist lebendig. Was aber findet man, wenn man sich auf die Spuren von Hölderlins letzter großer Reise begibt?
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Die knapp vier Monate, die Hölderlin Anfang 1802 in Bordeaux als Hofmeister in der Familie des Hamburger Weinhändlers Daniel Christoph Meyer verbrachte, hatten große Folgen. Erstens für ihn. Es war sein letzter Versuch, selbständig zu leben. Niemand weiß, warum er die Stelle und die Stadt verließ, nur, dass er nach wochenlanger Fußreise verstört und verwildert in der Heimat ankam und sein Schicksal von da an auf die Autenriethsche Klinik und die abschließenden 36 Jahre im Tübinger „Turm“ zusteuerte.
Das Haus in den Allées de Tourny steht noch und beherbergt eine Filiale von „Air France“ und ein Immobilienbüro, das den Namen von Hölderlins Brotgeber trägt. Ich verbringe zwei Herbstmonate in Bordeaux und gehe jeden Tag an diesem Haus vorbei, in der Hoffnung, etwas zu entdecken. Anders als in Tübingen und ähnlich wie in Frankfurt spüre ich nichts. Wahrscheinlich hat das mit dem kaufmännischen esprit du lieu beider Städte zu tun. Dass zu dem sogenannten Korkenadel von Bordeaux viele Deutsche gehörten, ist heute kaum bekannt, zumal das nach dem Zweiten Weltkrieg ein heikles Thema war, weil die Stadt kollaboriert hatte, obwohl man nicht sagen kann, dass das speziell die deutschstämmigen Familien gewesen wären. In den Siebzigern konnte der damalige F.A.Z.-Korrespondent in Frankreich, Thankmar von Münchhausen, sie aufspüren und betitelte seinen Bericht über Bordeaux „Buddenbrooks im Midi“. Jutta Bechstein-Mainhagu, die ehemalige Leiterin des hiesigen Goethe-Instituts, kennt noch manche von ihnen: Auch die Nachkommen des berühmten Frankfurter Bankiers Bethmann seien da, auch der Hamburger Bruder von Hölderlins großer Liebe Susette Gontard hatte Kontakte zu den Bordelaiser „Buddenbrooks“. Abends laufe ich durch die Gegend Chartrons, wo sie residierten finde neben den bronzenen Türklopfern einige deutsche Namen.
Auf der Allee zwischen dem „Hölderlin-Haus“ und dem Grand Théâtre treffe ich auf einen alten weißen Mann in breitem weißem Zweiteiler über dem weißen Hemd. Mit seinem cremefarbenen Hut kann er mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein auf sein Äußeres achtender Clochard und ein nonchalanter „französischer Herzog“ sein. Mit der Spitze seines Stützschirms hebt er den Deckel einer Mülltonne auf. Doch ein Clochard? Doch die Franzosen haben keine Pfandflaschen. Er klopft die Asche von seiner Zigarre in die Mülltonne. Ich kann meine Begeisterung nicht verbergen, worauf er etwas mit der Sprachmelodie eines französischen Herzogs sagt und seinen Weg Richtung Garonne fortsetzt.
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