Eine Extrawurst für Großbritannien, bitte!
- -AKTUALISIERT AM
Londoner Politiker suchen nach Wegen, das befürchtete Zollchaos nach dem EU-Austritt zu verhindern. Doch die WTO-Regeln sind streng – und das politische Eis dünn. Doch es gibt theoretisch Ausnahmeregeln.
Europas Wirtschaft fürchtet, dass im Frühjahr der Chaos-Brexit kommt, der die wichtigen Handelsbeziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent lähmt. Doch für eingefleischte Brexit-Befürworter ist das alles nur Panikmache: „Es gibt keinen Grund, vor einem No-Deal-Brexit Angst zu haben“, versicherte der britische Europaabgeordnete und EU-Gegner David Campbell Bannerman diese Woche den Lesern der britischen Zeitung „Daily Telegraph“ in einem Gastbeitrag.
Das Problem ist bekannt: Es gibt zwar ein fertig ausgehandeltes Austrittsabkommen mit der EU, das für einen geordneten Brexit sorgen und damit neue Handelsbarrieren zumindest vorerst verhindern würde. Aber das britische Parlament müsste dem Vertrag zustimmen, und der innenpolitische Widerstand auf der Insel gegen den ungeliebten Brexit-Deal ist groß. Kann das Abkommen, wie befürchtet, nicht rechtzeitig in Kraft treten, würden die Briten die EU am 29. März ohne Austrittsvertrag verlassen.
Die Konsequenzen könnten dramatisch sein. Über Nacht müssten im britisch-europäischen Güterhandel Zollkontrollen wiedereingeführt werden, denn die Briten würden damit auch abrupt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt der EU ausscheiden. Fachleute gehen davon aus, dass weder Großbritannien noch die EU auf ein solches Albtraumszenario vorbereitet wären. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals fehle es den Zollverwaltungen dafür an Kapazitäten.
Verstoß gegen WTO-Regeln
Was also tun? Britische Brexit-Anhänger wie der Parlamentarier Campbell Bannerman haben eine simple Lösung parat: Einfach vorerst gar nicht kontrollieren, damit der Warenhandel weitergehen kann und in den britischen Supermärkten nicht die Regale leer bleiben. Bis zu zwei Jahre lang nach dem Brexit, so glaubt Campbell Bannerman, könnte dies so gehandhabt werden. Damit allerdings würde Großbritannien womöglich die wichtigste Regel der Welthandelsorganisation (WTO) verletzen: Die sogenannte Meistbegünstigungsklausel schreibt vor, dass Importgüter, unabhängig vom Herkunftsland, gleichbehandelt werden müssen.
Autoimporte aus Drittstaaten werden in der EU derzeit mit 10 Prozent Zoll belastet, Einfuhren von Rindfleisch und andere Lebensmitteln mit deutlich höheren Sätzen. Deshalb müsste nach dem Brexit auch der Handel von Autos und Fleischwaren zwischen dem Königreich und den EU-Staaten mit diesen allgemeingültigen Zollsätzen belegt werden. Denn ansonsten würden sich Briten und die EU-Staaten gegenseitig bessere Konditionen als anderen Handelspartnern gewähren und damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der WTO verstoßen.
Regelkonform wäre es dagegen, wenn London die Einfuhrzölle auch für alle anderen Handelspartner auf Null senkte – also auch beispielsweise Rindfleisch aus amerikanischer Erzeugung zollfrei importiert werden dürfte. Dann freilich würden britische Landwirte und Industrieunternehmen schlagartig den Schutz der Zollmauern komplett verlieren. Billige Importe könnten sie schnell in Not bringen. „Für einzelne Güter wäre das zwar vorstellbar, aber kaum auf breiter Front“, sagt der Handelsexperte Sam Lowe von der Denkfabrik CER in London.
Suche nach Schlupflöchern hat Grenzen
Manche Brexit-Anhänger wie der Europapolitiker Campbell Bannerman sehen einen anderen Ausweg: Großbritannien könne sich auf Artikel 24 der WTO-Regeln berufen. Der sieht eine zeitlich befristete Freistellung von der Meistbegünstigungsklausel vor. Die Voraussetzung dafür: Die EU und Großbritannien müssen über die Schaffung einer gemeinsamen Freihandelszone oder einer Zollunion verhandeln, deren Binnenhandel nach den WTO-Regeln von der Meistbegünstigungsklausel ausgenommen ist.
Tatsächlich wollen die Briten und die EU nach dem Brexit ein weitreichendes Freihandelsabkommen abschließen und könnten damit theoretisch die Voraussetzung für die Ausnahmeregel erfüllen. Aber eine solche Extrawurst für den bilateralen Handel zwischen EU und Großbritannien würden andere WTO-Mitglieder wohl nur für ein paar Monate tolerieren, erwartet der CER-Experte Lowe. „Das Problem, dass Zollkontrollen wieder eingeführt werden müssen, würde dadurch nur für kurze Zeit verschoben, nicht aber beseitigt.“ Alternativ könnten sich die Briten darauf berufen, eine Ausnahme sei aus Gründen der Nationalen Sicherheit notwendig. Eine solche Sonderregel ist in Artikel 21 der WTO-Regeln vorgesehen. So begründet beispielsweise auch der amerikanische Präsident Donald Trump Strafzölle auf importierten Stahl mit einer angeblichen Gefährdung der nationalen Sicherheit. London würde vermutlich darauf hinweisen, dass vor allem in der britischen Region Nordirland die Wiedereinführung von Zollkontrollen den fragilen Friedensprozess nach dem langen Bürgerkrieg gefährden würde.
Die Suche nach Brexit-Schlupflöchern im Regelwerk der WTO stoße allerdings politisch an Grenzen, geben Fachleute zu bedenken. „Es wäre für Großbritannien eine internationale Peinlichkeit, wenn wir den Eindruck erweckten, dass wir mit Tricks versuchen, die Welthandelsregeln zu umgehen“, sagt Peter Holmes, Handelsökonom an der Universität Sussex. Wenn sein Land bei der Auslegung der Welthandelsregeln plötzlich ähnlich argumentieren würde wie der beinharte Protektionist Trump, schade es sich damit selbst, warnt Holmes. Das Königreich wolle schließlich nach dem Brexit neue Freihandelsverträge mit vielen Staaten vereinbaren. „Wenn wir jetzt anfangen, die WTO-Regeln zu missachten oder hinzubiegen schwächt das unsere Glaubwürdigkeit als Verhandlungspartner“, meint er.